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14. Jun 2017

EuGH zum Begriff der Freiwilligkeit bei der Verbraucherstreitbeilegung

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Mit Urt. v. 14.7.2017, Az. C-75/16 entschied der Europäische Gerichtshof, dass das Unionsrecht nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegensteht, die in Rechtsstreitigkeiten, an denen Verbraucher beteiligt sind, die verpflichtende Durchführung einer Mediation vor Erhebung jeder gerichtlichen Klage vorsehen, solange der Verbraucher diese Art der Mediation ohne Rechtfertigung abbrechen kann.

I. Sachverhalt und Vorlagefrage

In dem Ausgangsverfahren vor dem Tribunale Ordinario di Verona ging es um die Zulässigkeit eines Widerspruches zweier italienischer Verbraucher gegen einen von einer italienischen Bank gegen sie beantragten Mahnbescheid wegen einer Forderung aus einer bankspezifischen Dienstleistung. Nach italienischem Recht ist das Widerspruchsverfahren nur zulässig, wenn zuvor ein Mediationsverfahren eingeleitet wurde. Das vorlegende Gericht sah in dieser Zulässigkeitsvoraussetzung einen Verstoß gegen Art. 1 S. 1 ADR-Richtlinie, wonach die Teilnahme an einem Verfahren zur außergerichtlichen Streitbeilegung „auf freiwilliger Basis“ erfolgt.

Außerdem fragte es den EuGH nach dem Verhältnis von der ADR-Richtlinie zur Mediationsrichtlinie. Hintergrund der Frage ist deren Art. 5 Abs. 2, der den Mitgliedstaaten das Recht einräumt, Vorschaltverfahren wie das Streitgegenständliche einzurichten. Ginge die Mediationsrichtlinie der ADR-Richtlinie vor, käme es auf die Beantwortung der anderen Frage also nicht mehr an. Allerdings ist der Anwendungsbereich der Mediationsrichtlinie in dem vorgelegten Fall mangels grenzüberschreitenden Bezuges (Art. 1 Abs. 2 S. 1 Mediationsrichtlinie) nicht eröffnet, sodass der EuGH die Auslegungsfrage nicht zu beantworten hatte (EuGH Rn. 32 ff.).

II. Entscheidungsgründe

Zur Beantwortung der Vorlagefrage weist der EuGH auf den Regelungsinhalt von Art. 1 S. 2 ADR-Richtlinie hin. Danach bleiben nationale Vorschriften unberührt, die die Teilnahme an einem Streitbeilegungsverfahren im Sinne der ADR-Richtlinie verbindlich vorschreiben, sofern diese Rechtsvorschriften die Parteien nicht an der Ausübung ihres Rechts auf Zugang zum Gerichtssystem hindern. Entscheidend ist also, ob die nationale Regelung dazu führt, dass die Parteien dieses Recht nicht mehr ungehindert wahrnehmen können (EuGH Rn. 48 ff.).

Beeinträchtigt ist dieses Recht nach dem EuGH, wenn das obligatorische Vorverfahren mit einer für die Parteien verbindlichen Entscheidung endet, zu einer wesentlichen Verzögerung der Klageerhebung führt, die Durchsetzbarkeit des Anspruchs infolge Verjährung gefährdet oder mehr als nur geringe Kosten für beide Parteien mit sich bringt (EuGH Rn. 61). Berücksichtigt das nationale obligatorische Vorverfahren diese Anforderungen, steht eine entsprechende Regelung nicht im Widerspruch zu Art. 1 ADR-Richtlinie. Dieser Anforderungskatalog entstammt im Wesentlichen Erwägungsgrund 45 S. 2 ff. ADR-Richtlinie, der den durch außergerichtliche Verbraucherstreitbeilegung ungehinderten Zugang zu den Gerichten als wesentliches Ziel der Richtlinie herausstellt.

III. Bedeutung der Entscheidung

Inhaltlich ist der Entscheidung zuzustimmen. Sie orientiert sich am Wortlaut des Art. 1 ADR-Richtlinie und berücksichtigt bei der Entscheidungsfindung zugleich die Richtlinienziele. Auch im Zusammenhang mit Art. 10 Abs. 1 ADR-Richtlinie ergibt sich kein systematischer Widerspruch. Peremptorische Klageverzichtsvereinbarungen, die Verbraucher und Unternehmer vor Entstehung der Streitigkeit vereinbaren, entfalten nach dieser Vorschrift für den Verbraucher keine Verbindlichkeit. Grundsätzlich stellt sich also die Frage, warum die Möglichkeit zur Klageerhebung zwar durch Gesetz, nicht aber durch Parteivereinbarung suspendierbar ist. Art. 10 Abs. 1 ADR-Richtlinie betrifft im Gegensatz zu Art. 1 S. 2 allerdings den dauerhaften, also nicht lediglich dilatorischen Ausschluss der Klagbarkeit des Anspruchs. Der Auslegung durch den EuGH ist daher nicht durch einen systematischen Umkehrschluss beizukommen.

Gleichwohl ist anzumerken, dass Art. 1 S. 2 ADR-Richtlinie den Grundsatz der freiwilligen Teilnahme an außergerichtlichen Verbraucherstreitbeilegungsverfahren nicht unerheblich einschränkt.

In Deutschland besteht – anders als in der Italienischen Republik – nur in bestimmten Fällen die Möglichkeit, die Zulässigkeit einer Klage von der erfolglosen Durchführung eines außergerichtlichen Vorverfahrens abhängig zu machen. Gemäß § 15a Abs. 1 S. 1 EGZPO kann durch Landesgesetz bestimmt werden, dass ein solches Verfahren in den Fällen des § 15a Abs. 1 S. 1 Nr. 1-4 EGZPO vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle durchzuführen ist. Verbraucherschlichtungsstellen im Sinne des Verbraucherstreitbeilegungsgesetzes (VSBG) sind indes keine solchen Gütestellen, sondern lediglich sonstige Gütestellen (BT-Drs. 18/5089, S. 79) im Sinne des § 15a Abs. 3 S. 1 EGZPO. Verbraucherstreitbeilegung gehört also nicht zum Anwendungsbereich von § 15a Abs. 1 EGZPO (so auch Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann (2017), § 15a EGZPO Rn. 3). Daher kann in Deutschland die Zulässigkeit einer Klage nicht nach § 15a Abs. 1 S. 1 EGZPO von der vorherigen Durchführung eines Verbraucherstreitbeilegungsverfahrens abhängig gemacht werden. Schafft der deutsche Gesetzgeber eine entsprechende Regelung an anderer Stelle, muss er den dann entstehenden Wertungswiderspruch zu § 309 Nr. 14 BGB beheben, der die Vereinbarung eines obligatorischen außergerichtlichen Einigungsversuchs in AGB ausschließt.

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