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23. Mrz 2016

Ghettorente und richterliche Unabhängigkeit light

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Was passiert, wenn ein Richter von seinem Recht aus Art 17 GG Gebrauch macht, kann man gerade in Nordrhein-Westfalen beobachten. Das Bundesland betreibt derzeit ein Verfahren gegen einen seiner eigenen Richter vor dem Richterdienstgericht. Konkret soll Richter am Landessozialgericht Jan-Robert von Renesse 5.000 € Geldbuße wegen „Rufschädigung der Justiz“ zahlen. Wie verschiedene Medien (LTO, Die Welt, Jüdische Allgemeine) berichten, hat er in einer Petition an den Bundestag behauptet, ehemalige Angehörige eines Ghettos unter der Herrschaft des Nationalsozialismus hätten vor den Sozialgerichten kein faires Verfahren bekommen und seien so um ihre Ansprüche auf Rentenzahlung gebracht worden. Im Kern der Verfahren ging es jeweils darum, Arbeitszeiten für Rentenansprüche anzuerkennen, die der Rentenberechtigte in einem Ghetto geleistet hat. Da viele Kläger mittlerweile in Israel leben, wurde der Aussage von Renesse zu Folge häufig nach Aktenlage entschieden. Fast 97 % der Anträge auf Anerkennung dieser Zeiten sollen von der Deutsche Rentenversicherung Rheinland abgelehnt worden sein.

Von Renesse war am Landessozialgericht ebenfalls mit Verfahren zur Anerkennung von sog. „Ghettorenten“ beschäftigt, verließ sich jedoch nicht allein auf Akten. Er reiste in manchen Fällen sogar nach Israel, um die teils hochbetagten Kläger persönlich zu vernehmen.

Aufgrund dieses Verhaltens soll von Renesse sogar gemobbt worden sein. Unter anderem soll er in ein unbeheiztes Büro versetzt, sowie Verfügungen in seiner Abwesenheit auf Anweisung unbearbeitet geblieben oder aufgehoben worden sein.

Rufen wir uns vorab kurz die Funktion der Petition in Erinnerung:

„Es ist individuelles, auch dem kollektiven Gebrauch offenstehendes, Notrufrecht. Das Grundrecht der Petitionsfreiheit macht deutlich, dass der Staat sich nicht anmaßt, ausschließlich durch sein stringentes Verfahrensrecht darüber zu bestimmen, ob und wann das petitum eines Menschen rechtserheblich sein soll. Menschliche Nöte sind und bleiben (vom Staat nicht zu ignorierende) menschliche Nöte auch, wenn Fristen versäumt wurden, subjektive Rechtsverletzungen nicht dargetan werden können, eine staatliche Entscheidung bestandskräftig geworden ist. Vermittels des Petitionsrechts kann der Petent den Staat, nicht nur seine Exekutivorgane sondern auch die Volksvertretung, zwingen, sich mit der Frage zu beschäftigen, ob und wie seinem Anliegen, sei es im Rahmen des geltenden Rechts, sei es durch dessen Änderung, Rechnung getragen werden kann.“
(Maunz/Dürig/Klein GG Art. 17 Rn. 137-141, beck-online)

Wie also soll vor diesem Hintergrund eine Rufschädigung der Justiz aussehen? Was ist Inhalt dieses Rufes und ist er auch gegenüber den Parlamenten zu schützen? Allenfalls der Ruf der Justiz in der Bevölkerung könnte tauglicher Anknüpfungspunkt sein. Jedoch dürfte auch hier mit Blick auf § 39 DRiG der Umfang eines wie auch immer gearteten Rufes begrenzt sein.

Eine Rufschädigung dürfte daher eher fern liegen, vor allem wenn man sich die weitere Funktion des Petitionsrechts vor Augen führt:

„Als Kommunikationsgrundrecht ist das Petitionsrecht, das nicht nur eigene sondern auch fremde Anliegen, sei es allein, sei es gemeinsam mit anderen, zu verfolgen erlaubt, auch nutzbar zum Zweck der Einflussnahme auf die politische Willensbildung des Volkes, von den übrigen grundrechtlichen Gewährleistungen staatsfreier Kommunikation unterschieden durch die von ihm ausgelöste Befassungspflicht der angerufenen Instanz.“ (Maunz/Dürig/Klein GG Art. 17 Rn. 137-141, beck-online)

Maßnahmen zu ergreifen, wie es die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen gerade tut, schädigen zwar nicht irgendeinen Ruf, jedoch schädigen sie das Vertrauen in die Unabhängigkeit der Justiz. Der Justizminister täte gut daran, das Vertrauen in die Unabhängigkeit der Gerichte nicht für einen wie auch immer gearteten Ruf der Justiz auf Spiel zu setzen.

Über Christian Häntschel

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