RSS-Feed abonnieren

Passwort vergessen?

v Anmelden

6. Sep 2021

Anmeldung zum Musterfeststellungsverfahren zum Zweck der Verjährungshemmung ist kein Rechtsmissbrauch

Verfasst von

Zum BGH-Urteil vom 29.07.2021, Az. VI ZR 1118/20

Ausgangslage und Problemstellung

Mit der Einführung der Musterfeststellungsklage zum 1.11.2018 war unter anderem die Hoffnung verbunden, den im „Diesel-Skandal“ Geschädigten* zur effektiven Rechtsdurchsetzung zu verhelfen. Zum Musterfeststellungsverfahren des Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. (vzbv) gegen die Volkswagen AG (VW) meldeten sich ca. 440.000 Personen an. Einige dieser Personen meldeten sich später wieder ab, um ein Individualverfahren gegen VW zu führen. VW beruft sich in diesen Verfahren meist auf die Einrede der Verjährung.

Die Ansprüche gegen VW verjährten regelmäßig mit Ende des Jahres 2018. Allerdings hemmt die noch 2018 erhobene Musterfeststellungsklage gegen VW gem. § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB die Verjährung der zum Verfahren angemeldeten Ansprüche. Diese Regelung war zuletzt Gegenstand zahlreicher land- und oberlandesgerichtlicher Verfahren. Kürzlich hatte der BGH Gelegenheit, sich zu positionieren.

Klageerhebung oder Anmeldung – welcher Zeitpunkt ist maßgeblich?

Zum einen ist dabei umstritten, ob für die Verjährungshemmung die Erhebung der Musterfeststellungsklage oder die Anmeldung zum Verfahren das maßgebliche Ereignis ist. Letzteres würde dazu führen, dass die Ansprüche, die erst 2019 zum Musterverfahren angemeldet wurden, verjährt sind. Dagegen sprechen gute Gründe. § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB stellt nur auf die Klageerhebung als verjährungshemmendes Ereignis ab. Zudem sticht der Unterschied zu § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB, der die Verjährungshemmung im Musterverfahren nach dem KapMuG regelt, ins Auge. Bei diesem Musterverfahren ist die Verjährungshemmung an die Zustellung der Anmeldung geknüpft. Dass der Gesetzgeber für die Musterfeststellungsklage eine andere Formulierung gewählt hat, spricht dafür, dass es hier gerade nicht auf die Anmeldung ankommen soll. Überdies wurde das Gesetzgebungsverfahren gerade deshalb in bemerkenswerter Geschwindigkeit vorangetrieben, um noch 2018 eine Musterfeststellungsklage gegen VW zu ermöglichen und die drohende Verjährung zu verhindern – auch rückwirkend nach Ablauf der eigentlichen Verjährungsfrist (BR-Drs. 176/18, S. 10 f.).

Diesen Argumenten folgt auch der BGH. Er kommt zu dem Ergebnis, dass nur die Musterfeststellungsklage vor Ablauf der Verjährung erhoben worden sein muss. Damit kommt die Hemmungswirkung auch den Ansprüchen zugute, die nach Ablauf der eigentlichen Verjährungsfrist angemeldet wurden. Bedenken gegen diese Rückwirkung verwirft der BGH ebenfalls. Er stellt darauf ab, dass VW sich bereits nach Erhebung der Musterfeststellungsklage 2018 darauf einstellen konnte, dass die Verbraucher ihre Ansprüche anmelden und dementsprechend nicht darauf vertrauen durfte, dass die Verjährung eintritt.

„Parken in der Musterfeststellungsklage“ – Rechtsgebrauch statt Rechtsmissbrauch

Zum anderen hatte der BGH die Frage zu klären, ob die Verbraucher rechtsmissbräuchlich handeln, wenn sie sich zur Musterfeststellungsklage anmelden, um die Verjährung zu hemmen und später individuell klagen zu können. Dagegen spricht allerdings, dass die Möglichkeit der späteren Rücknahme der Anmeldung ausdrücklich in § 608 Abs. 3 ZPO vorgesehen ist. Das soll es dem Verbraucher ermöglichen, gezielt der Bindungswirkung des Musterentscheids zu entgehen, damit er nicht bereits bei der Anmeldung endgültig an die Entscheidung im Musterverfahren gebunden wird (BeckOGK BGB/Meller-Hannich, § 204, Rn. 114.1). § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB macht die hemmende Wirkung auch nicht davon abhängig, dass der Anspruchsinhaber im Klageregister angemeldet bleibt. Das „Parken“ der Ansprüche in der Musterfeststellungsklage, um Zeit für die Individualklage zu gewinnen, widerspricht nicht der gesetzgeberischen Intention.

Auch der BGH sieht in diesem Vorgehen keinen Rechtsmissbrauch der Verbraucher, sondern den gezielten Gebrauch ihrer gesetzlich vorgesehenen Rechte. Er betont, dass es grundsätzlich nicht rechtsmissbräuchlich ist, verjährungshemmende Maßnahmen nur zum Zweck der Verjährungshemmung vorzunehmen, solange die Maßnahme zur Klärung der Streitigkeit nicht bereits objektiv völlig ungeeignet ist. An die Annahme des Rechtsmissbrauchs im Einzelfall stellt der BGH damit zurecht hohe Anforderungen, die in den Verfahren gegen VW regelmäßig nicht erfüllt sein dürften.

Fazit

Eine wichtige Frage in den Individualprozessen gegen VW, die nach Abmeldung von der Musterfeststellungsklage geführt werden, ist damit höchstrichterlich geklärt. Der BGH kommt zu einer überzeugenden Lösung, mit der er Sinn und Zweck und Entstehungsgeschichte der Musterfeststellungsklage in den Blick nimmt. Für zukünftige Musterfeststellungsklagen schafft dies Rechtssicherheit. Verbraucher müssen bei der Anmeldung nicht befürchten, sich damit die Möglichkeit einer Individualklage abzuschneiden.


*Zur sprachlichen Klarheit wird im Text das generische Maskulinum verwendet. Damit sollen ausdrücklich alle Geschlechter angesprochen sein.

Über Lukas Hundertmark

  • Wissenschaftlicher MItarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Zivilprozess- und Handelsrecht von Prof. Dr. Caroline Meller-Hannich

Kommentieren

*